Guten Tag, Sie sind der Herr Bessert, das entnehme ich Ihrer Akte.
„Guten Tag, Herr Doktor Phillip.“
So, nun machen Sie mal Ihr Bett, das ist ja ganz unordentlich.
„Herr Phillip, ich wollte reden...“
Nun reden Sie mal nicht lange rum, das ist eine Antriebsstation, hier werden Betten gemacht. Die Schwester gibt ihnen nachher was. Schwester (spricht zu der Schwester) schreiben Sie mal auf, Akkiniton, 200 mg. Der Mann hat Nebenwirkungen, der kann ja noch nicht mal richtig sein Bett machen. Wozu soll denn das führen, wenn der Herr Professor hier hereinkommt.
„Herr Doktor Phillip, ich wollte Ihnen sagen, das ich diese Tabletten nicht mehr nehmen will.“
Sie sind Antriebsschwach, das habe ich Ihnen schon gesagt. Hier wird geschluckt (macht zuckende Bewegungen), geschluckt, geschluckt.
„Herr...“
Oder haben Sie etwa Schlundkräfmpfe? Schwester (spricht wieder zu der Schwester), Akkiniton, 300 mg, morgens, mittags, abends 100mg. Und sehen Sie zu, dass der Mann sein Bett macht.
„Herr Doktor, das ist für mich wie Folter.“
Der Patient ist uneinsichtig. Das hatten wir schon festgestellt. Nicht umsonst hat die Polizei Ihnen den Arm auf den Rücken drehen müssen, als sie Sie wieder hergebracht haben. Der Ausgang war Ihnen wohl nicht lang genug (lacht)? Ist jetzt sowieso gestrichen, die nächsten zwei Wochen (lacht noch mehr). Pfleger Martin wird Sie mal begleiten, in den Park, der ist ja ganz kräftig. Laufen können Sie wohl noch. Ist nichts, hier rum zu hocken den Ganzen Tag, was? Ja, ich geh auch lieber mit meiner Frau Essen und danach ins Theater.
„Herr Doktor, ich würde gerne in den Park gehen, aber Sie sehen doch, ich rede ganz normal zu Ihnen, ich brauche gar keine Tabletten mehr.“
Nun werden Sie mal nicht über frech, da gibt es Statistiken. Wer hier rausgeht, macht sein Bett, erzählt den Patienten vom Wochenende und gibt der Schwester bei der Entlassung freundlich die Hand. Natürlich ohne Hintergedanken, das wäre distanzlos.
SCHWESTER: Herr Doktor, der ist sowieso schon ganz fett geworden. Als der hier rein kam, fand ich den ja noch ganz gut, aber so ein fetter?
Schwester, das können Sie vorne im Stationszimmer erzählen. Wir wollen hier nicht privat werden vor den Patienten.
„Aber Herr Doktor, ich mache ja mein Bett, offen und ehrlich, aber wann komme ich denn hier raus?“
Woher soll ich das wissen, bin ich Gott? Sie sind hier zwangseingewiesen. Schwester (spricht zur Schwester), der Termin war in neun Wochen, wenn ich mich nicht täusche. (spricht wieder zu Bessert) Wenn Sie immer Ihr Bett machen, gehen Sie in neun Wochen nach hause. Vorher kriegen Sie aber noch BT.
„BT, was ist denn das?“
Hat sich das noch nicht rum gesprochen zu Ihnen? Beschäftigungstherapie: Da kneten Sie in Ton, und dann sprechen Sie über über Ihre Gefühle. Wenn Sie noch Gefühle haben. (lacht – und spricht zur Schwester) Sie wissen schon, wie ich das meine, Schwester (zwinkert ihr zu).
„Aber wie soll ich denn in diesem Zustand mit Ton arbeiten, ich bin den ganzen Tag müde und kann mich kaum auf den Beinen halten.“
Schon klar (wirkt nachdenklich). Auf den Beinen halten sollten Sie sich schon. Dann reduzieren wir eben mal. Schwester (spricht zur Schwester), schreiben Sie mal auf. Statt 600 mg Clozapin, jetzt 550 mg. In zwei Schritten über jeweils drei Tage. In zwei Wochen reden wir weiter. Die Dosis scheint Ihnen ja im Grunde gut zu bekommen.
„Davon geht es mir doch aber auch nicht besser, von den 50 mg weniger. Sie merken doch, ich rede jetzt schon ganz normal zu Ihnen. “
Zwangseinweisung ist Zwangseinweisung Herr Bessert. Der Richter wird schon seinen Grund gehabt haben, drei Monate zu veranschlagen. Und besser geht es ihnen dann von der Beschäftigungstherapie.
„Ich habe doch schon gesagt, ich bin den ganzen Tag müde von dem Zeug.“
Müde nennen Sie das? In meinen Augen sind Sie antriebsschwach.
SCHWESTER: Aber Sie wissen doch, der Herr Professor sagt, sie argumentieren zu oft mit dem Wort (zwinkert dem Doktor zu).
Ach, ich verstehe sie schon, Schwester. Wir haben ja immer noch das Budget von Frau Hildesheim offen.
„Frau Hildesheim, wer ist denn das?“
Das ist die Psychologin. Die sprechen Sie ab jetzt einmal die Woche für eine Stunde. Ordne ich hiermit an. Die findet schon raus, ob Sie müde sind oder antriebsschwach.
„Aber das sage ich Ihnen doch, dass ich müde bin.“
Dann reden Sie mit ihr eben über irgendwas anderes. Die Frau ist Psychologin. Die hat das studiert, die ist vom Fach, genau wie ich.
„In diesem Zustand kann ich ja nicht mal fernsehen. Da will ich sofort ins Bett gehen.“
Da passen schon die Pfleger auf, dass das nicht passiert. (lacht) Und wenn Sie sich nicht konzentrieren können, dann ist das ein Symptom Ihrer Krankheit, Herr Bessert. Das haben wir bei vielen Patienten. Deshalb nehmen Sie ja die Tabletten. Hier lernen Sie wieder richtig zu leben, junger Freund. Aufstehen, Zähne putzen, anziehen, frühstücken und dann ab ins Raucherzimmer. Oder was die Patienten hier sonst noch so machen den ganzen Tag. Fernsehen sollten Sie üben. Das besprechen Sie dann mit der Psychologin, wie das geht. Die kennt sich damit aus.
Was sagt eigentlich Ihre Mutter dazu, zu der Medikation, und Ihr Vater?
„Die sagen, ich soll das nehmen.“
Ach, die Eltern haben wir schon überzeugt. Die sind ja ganz vernünftig.
„Aber wie soll ich denn damit ein normales Leben führen?“
Nun denken Sie mal nicht immer weiter. Darum sind sie ja hier. Sie müssen sich auf jetzt konzentrieren. Daran arbeiten wir ja. Sie machen ja noch nicht mal vernünftig Ihr Bett.
„Mit diesem Zeug will ich aber nicht leben. Ich will und kann nicht.“
Sie können noch ganz andere Sachen, wenn ich das sage. Betten machen, BT, Frau Hildesheim. Und in neun Wochen, da geht das Leben weiter. Neun Wochen, das ist ja gar nicht so lang. Da mache ich ja länger Urlaub (lacht).
„Wie soll ich das die ganzen neun Wochen aushalten? Danach nehme ich das Zeug nicht mehr. Ganz sicher nicht.“
Dann bleiben Sie eben noch mal neun Wochen hier drin. Da spreche ich mit dem Richter, das geht Ruck Zuck. Dann liegt der Beschluss auf dem Tisch. Und wenn Sie hier so renitent daher reden, dann erhöhe ich das Clozapin eben wieder. Schwester (die Schwester lacht), Clozapin, 600 mg – bleibt. Ausgang ist gestrichen. Pfleger Martin hat besseres zu tun als wild gewordenen hinterherzulaufen.
„Herr Doktor, ich bin ganz verzweifelt.“ (Fängt an zu weinen)
(halb zur Schwester) Der Mann hat wohl nicht auch noch eine Depression?
(Bessert wendet sich ab, läuft halb gebückt Richtung Bad.)
(wieder halb zur Schwester) „Wo will er denn jetzt hin? Was will er denn im Bad? Eben hat er mir noch versprochen, er macht sein Bett!“
(Besserts Tränen laufen, er nimmt eine Rasierklinge vom Waschbecken. Die beiden anderen gehen ihm hinterher und schauen.)
Schwester, was macht er denn jetzt?
(Bessert beginnt, sich die Pulsadern aufzuschneiden.)
Schwester, jetzt machen Sie doch was!
(Die Schwester versucht, die Rasierklinge wegzunehmen. Bessert windet sich und schneidet weiter. Das Blut trieft auf den Boden. Überall Flecken.)
Pfleger, Pfleger Martin, eine Fixierung!
(Bessert fängt an, um sich zu hauen, die Klinge noch in der Hand. Pfleger Martin und drei andere stürmen herein, ein Kampf bricht los. Die Klinge fällt zu Boden.)
Sofort ins Fixierungszimmer, den Kerl.
(Zur Schwester, die nicht mehr am Kampf teilnimmt) Das haben wir ja überhaupt noch nicht gehabt. Ein Suizidversuch während der Visite. Irgendwas muss ich falsch gemacht haben mit Herrn Bessert.
Geschichte ist aus der Psychiatriezeitung "Folterbote - Goetterbote", Ausgabe 1
http://www.folterbote.de
Das heft wird im januar 2021 gedruckt und kostet 4 €.
Bei Abdruck der Geschichte in einer Psychiatriezeitung bitte hier nach der Adresse für das Belegexemplar anfragen: info@folterbote.de
--- Die in Druck gabe des Magazins verzögert sich weiterhin. ---